Gesundheitspolitische Informationen

5. April 2017 – Bundeskabinett beschließt Einführung von Pflegepersonaluntergrenzen in Krankenhausbereiche

Das Bundeskabinett hat heute die Einführung von Pflegepersonaluntergrenzen in Krankenhausbereichen, in denen dies aus Gründen der Patientensicherheit besonders notwendig ist, auf den Weg gebracht.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe: “Eine gute Pflege und Versorgung im Krankenhaus kann nur mit einer angemessenen Personalausstattung gelingen. Die heute auf den Weg gebrachte Regelung ist eine weitere wichtige Weichenstellung, um die Pflege am Krankenbett nachhaltig zu stärken. Mit verpflichtenden Pflegepersonaluntergrenzen in Krankenhausbereichen, in denen dies besonders notwendig ist, stärken wir die Patientensicherheit und verbessern zudem die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte im Krankenhaus.“

Hier geht es zur ganzen Pressemitteilung: http://bpaq.de/g-personaluntergrenzen


10.3.2017 – Bundesrat billigt Reform der Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln

Der Bundesrat hat am 10.03.2017 die vom Bundestag beschlossene Reform der Heil- und Hilfsmittelversorgung (Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung – HHVG) gebilligt.

Krankenkassen müssen bei ihren Vergabeentscheidungen künftig neben dem Preis auch Qualitätskriterien der Hilfsmittel verstärkt berücksichtigen. Versicherte erhalten eine Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen zuzahlungsfreien Hilfsmitteln. Dabei müssen ihnen die Ärzte künftig die unterschiedlichen Optionen erläutern und sie darüber informieren, welche Leistungen oder Produkte für sie geeignet sind und von den Krankenkassen übernommen werden. Auch der Informationsanspruch der Versicherten gegenüber den Krankenkassen wird gestärkt. Diese sind zudem verpflichtet, durch Stichproben zu kontrollieren, ob die Anbieter ihre gesetzlichen und vertraglichen Pflichten einhalten.

Neu ist auch, dass es wieder Zuzahlungen für sehr starke Brillengläser ab vier bzw. sechs Dioptrien gibt.

Um Therapieberufe attraktiver zu machen, können die Krankenkassen und Verbände der Heilmittelerbringer in den Jahren 2017 bis 2019 höhere Vergütungen beschließen. Gestärkt wird zudem die Autonomie von Therapeuten in ihrer Behandlung.

Eine neue Regelung soll verhindern, dass sich Krankenkassen oder Ärzte finanzielle Vorteile über eine unzulässige nachträgliche Beeinflussung von Diagnosen verschaffen. Anlass hierfür waren Versuche der Krankenkassen, über bestimmte Diagnosen der Ärzte die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds (Morbi-RSA) zu erhöhen.

Der Bundestagsbeschluss beinhaltet noch weitere Regelungen etwa zum Krankengeldanspruch in speziellen Fällen, zur Beitragsbemessung für Selbstständige und zur Sozialversicherungspflicht von Ärzten, die nebenberuflich im notärztlichen Rettungsdienst aktiv sind. Diese sind unter bestimmten Umständen von der Sozialversicherungspflicht befreit. Damit hat der Bundestag eine Anregung des Bundesrates vom Dezember 2016 aufgegriffen.

Das Gesetz wird nun dem Bundespräsidenten zur Unterzeichnung vorgelegt. Es tritt in weiten Teilen am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Quelle: https://www.juris.de/


9. März 2017 – Bundestag verabschiedet Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung

Der Deutsche Bundestag hat am 9. März 2017 das „Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV“ (GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz – AMVSG) in 2./3.Lesung beraten. Das Gesetz bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates. Die Regelungen sollen in ihren wesentlichen Teilen im April 2017 in Kraft treten.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe: „Wir sorgen dafür, dass sich Patientinnen und Patienten auch in Zukunft auf eine hochwertige und bezahlbare Arzneimittelversorgung verlassen können. Das Gesetz leistet einen wichtigen Beitrag dazu, dass Arzneimittel mit einem Mehrnutzen schnell den Weg in die Versorgung finden, Antibiotika-Resistenzen und Lieferengpässe bekämpft werden und die Arzneimittelversorgung von Krebskranken weiter verbessert wird.“

Hier geht es zur ganzen Pressemitteilung: http://bpaq.de/g-amvsg-2017


7. März 2017 – Stärkung der Pflege im Krankenhaus

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hat gemeinsam mit den Vertreterinnen und Vertretern der Koalitionsfraktionen und der Länder die Schlussfolgerungen aus den Beratungen der Expertenkommission „Pflegepersonal im Krankenhaus“ vorgelegt. Darin haben sich die Beteiligten auf Maßnahmen zur Verbesserung der Personalsituation in der pflegerischen Patientenversorgung verständigt. In Krankenhausbereichen, in denen dies aus Gründen der Patientensicherheit besonders notwendig ist, sollen künftig Pflegepersonaluntergrenzen festgelegt werden, die nicht unterschritten werden dürfen.

Hier geht es zur ganzen Pressemitteilung: http://bpaq.de/g-ExpertenkommissionPflege


6. März 2017 – Finanzergebnisse der GKV 2016

Die gesetzlichen Krankenkassen haben nach den vorläufigen Finanzergebnissen des Jahres 2016 einen Überschuss von rund 1,38 Milliarden Euro erzielt. Damit steigen die Finanzreserven der Krankenkassen auf mehr als 15,9 Milliarden Euro. Am Ende des vergangenen Jahres betrug die Gesamtreserve von Krankenkassen und Gesundheitsfonds zusammen 25 Milliarden Euro.

Hier geht es zur ganzen Pressemitteilung und weiteren Informationen: http://bpaq.de/g-gkv2016


23.02.2017 – Zwangsbehandlung von Betreuten

Eine Regelungslücke im Genehmigungsverfahren für lebenswichtige medizinische Zwangsbehandlungen von Personen, die selbst zu einer verantwortlichen Entscheidung nicht in der Lage sind, soll mit einem Gesetzentwurf der Bundesregierung geschlossen werden.

Die Lücke war durch einen Beschluss des BVerfG vom 26.07.2016 (1 BvL 8/15) offenbar geworden. Es geht, wie die Bundesregierung ausführt, um betreute Personen, „die einer ärztlichen Maßnahme mit natürlichem Willen widersprechen, obgleich sie auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können“, die aber „ohne die medizinisch indizierte Behandlung einen schwerwiegenden gesundheitlichen Schaden erleiden oder sogar versterben“.

Nach geltendem Recht kann der Betreuer eine solche Zwangsbehandlung „nur im Rahmen einer freiheitsentziehenden Unterbringung“, also in einer geschlossenen Anstalt, veranlassen. In den Fällen, in denen der Betreute nicht in der Lage oder willens ist, sich durch Flucht zu entziehen, eine „freiheitsentziehende Unterbringung“ also nicht geboten ist, kann auch die notwendige Behandlung nicht erzwungen werden, wie die Regierung ausführt. Das BVerfG habe nun entschieden, „dass diese Schutzlücke mit der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflicht des Staates unvereinbar ist“.

Mit dem vorgeschlagenen „Gesetz zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten“ (BT-Drs. 18/11240 – PDF, 1,1 MB) soll daher „die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme von der freiheitsentziehenden Unterbringung entkoppelt“ werden. Im Übrigen sollen die Voraussetzungen so streng bleiben wie bisher. So soll die richterliche Genehmigung an eine stationäre Unterbringung in geeigneten Einrichtungen gebunden bleiben, eine ambulante Zwangsbehandlung also weiterhin nicht erlaubt sein. Durch einen ausdrücklichen Vorrang von Patientenverfügungen soll zudem das Selbstbestimmungsrechts von Betreuten gestärkt werden. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass das Gesetz drei Jahre nach Inkrafttreten evaluiert wird, unter anderem in Hinblick auf „die Wirksamkeit der Schutzmechanismen“.

Quelle: hib – heute im bundestag Nr. 110 v. 23.02.2017


15.02.2017 – Gesetzentwürfe für höhere Erwerbsminderungsrente und einheitliches Rentenrecht

Das Bundeskabinett hat am 15.02.2017 einen Gesetzentwurf über den Abschluss der Rentenüberleitung (Rentenüberleitungs-Abschlussgesetz) sowie einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Erwerbsminderungsrenten beschlossen.

Der Entwurf des Gesetzes über den Abschluss der Rentenüberleitung (Rentenüberleitungs-Abschlussgesetz) soll dazu führen, dass die Deutsche Einheit bis 2025 auch in der Rentenversicherung erreicht wird. Mit dem Entwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Leistungen bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit will die Bundesregierung die Leistungen für Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr oder nur noch teilweise arbeiten können, weiter ausweiten.

Das Gesetz zur Rentenangleichung im Einzelnen

Die bisher noch abweichenden Rechengrößen für die Rentenberechnung sollen an die entsprechenden Westwerte angeglichen werden. Dazu sollen der aktuelle Rentenwert (Ost), die Beitragsbemessungsgrenzen (Ost) und die Bezugsgröße (Ost) auf die jeweiligen Westwerte angehoben werden. Die Ost-Verdienste sollen ab 2025 nicht mehr hochgewertet werden. Es ist geplant, dass die Angleichung schrittweise erfolgt – auch, damit die Hochwertung der Ost-Verdienste nicht abrupt entfällt, sondern langsam abschmilzt.

Die Angleichung ist in sieben Schritten vorgesehen: Im ersten Schritt soll zum 01.07.2018 der aktuelle Rentenwert (Ost) auf 95,8% des Westwerts angehoben. In den weiteren Schritten soll dieser Verhältniswert jedes Jahr um 0,7 Prozentpunkte angehoben werden, bis der aktuelle Rentenwert (Ost) zum 01.07.2024 100% des aktuellen Rentenwerts erreicht hat.

Die Bezugsgröße (Ost) und die Beitragsbemessungsgrenzen (Ost) sollen ebenfalls in sieben Schritten beginnend zum 01.01.2019 an die Höhe des jeweiligen Westwerts angeglichen und zum 01.01.2025 den Westwert erreichen. Der Hochwertungsfaktor soll entsprechend zeitgleich abgesenkt werden, so dass die Hochwertung der Verdienste in den neuen Bundesländern ab 01.01.2025 entfällt. Die bis zum 31.12.2024 hochgewerteten Verdienste sollen erhalten bleiben.

Die Angleichung soll auf die gesetzliche Unfallversicherung und die Alterssicherung der Landwirte übertragen werden. Durch die Angleichung des aktuellen Rentenwerts (Ost) steigen die Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung. Die mit der Angleichung verbundenen Kosten werden aus Beitrags- und Steuermitteln finanziert.

Anknüpfend an die Erhöhung des Zuschusses im Rahmen des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes soll sich der Bund zukünftig stufenweise an der Bewältigung der demografischen Entwicklung und der Finanzierung der Renten beteiligen. Beginnend im Jahr 2022 soll der Bundeszuschuss um 200 Mio. Euro und danach in den Jahren 2023 bis 2025 jährlich um jeweils 600 Mio. Euro erhöht werden. Ab dem Jahr 2025 soll die Erhöhung dauerhaft 2 Mrd. Euro betragen.

Das Gesetz zur Verbesserung der Erwerbsminderungsrenten im Einzelnen

Bereits das Rentenpaket 2014 habe merkliche Verbesserungen bei der Absicherung des Erwerbsminderungsrisikos gebracht. Wer zum Beispiel ab dem 45. Lebensjahr aus gesundheitlichen Gründen nur noch teilweise oder gar nicht mehr erwerbstätig sein könne, werde aktuell bei der Höhe der teilweisen oder vollen Erwerbsminderungsrente so gestellt, als habe er bis zum Alter von 62 mit dem bis zur Erwerbsminderung erzielten durchschnittlichen Einkommen weitergearbeitet. Diese sog. Zurechnungszeit wurde 2014 von 60 auf 62 Jahre erhöht. Nun soll die Zurechnungszeit schrittweise um drei Jahre auf das Alter 65 verlängert werden.

Die Erhöhung soll mit dem Jahr 2018 beginnen und im Jahr 2024 abgeschlossen sein. Insgesamt bedeutet dies langfristig eine deutliche Erhöhung der Rentenansprüche für Neurentnerinnen und -rentner im Falle der Erwerbsminderung.

Beide Gesetze sollen in ihren maßgeblichen Teilen zum 01.01.2018 in Kraft treten und bedürfen nicht der Zustimmung des Bundesrates.

Quelle: Pressemitteilung des BMAS v. 15.02.2017

 


13.02.2017 – Ärztliche Diagnosen nicht unzulässig beeinflussen

Gesundheitsexperten haben anlässlich einer Anhörung am 13.02.2017 die geplante gesetzliche Klarstellung befürwortet, wonach sich Krankenkassen oder Ärzte über eine unzulässige Beeinflussung von Diagnosen keine finanziellen Vorteile verschaffen dürfen.

Die Koalition will solche Verträge über eine Ergänzung im derzeit beratenen Gesetzentwurf (BT-Drs. 18/10186 – PDF, 533 KB) zur Reform der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG) explizit untersagen. Anlässlich einer Anhörung über die dazu vorliegenden Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen sprachen Sachverständige im Gesundheitsausschuss des Bundestages von einer sinnvollen, aber womöglich nicht ausreichenden Änderung.

Anlass für die gesetzliche Initiative sind Strategien der Krankenkassen, über bestimmte Diagnosen die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds zu erhöhen. Dazu versuchen die Kassen, auf die Diagnosekodierung der Ärzte Einfluss zu nehmen. Dabei geht es speziell um Fälle, die nach dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) relevant sind. Je kränker Versicherte sind, umso höher fallen die Zuweisungen an die Krankenkassen aus.

Es sind drei Strategievarianten bekannt: Mit Hilfe externer Dienstleister, über sog. Kodierberater sowie über Betreuungsstrukturverträge, wobei für jeden Patienten, bei dem der Arzt eine RSA-relevante Krankheit feststellt, eine Provision gezahlt wird.

In der Begründung der Änderungsanträge wird festgehalten, dass die Aufsichtsbehörde und die betroffenen Vertragsparteien rechtswidrige Vertragsgestaltungen unverzüglich zu beenden haben. Die Krankenkassen werden zur Mitwirkung bei der Aufklärung von Zweifelsfällen verpflichtet. Verweigern sie dies, kann das Bundesversicherungsamt (BVA) ein Zwangsgeld von bis zu 10 Mio. Euro verhängen. Um Auffälligkeiten bei den Krankenkassendaten besser zu erkennen, soll ab 2018 der RSA auch mit Hilfe einer regionalen Zuordnung der Patienten analysiert werden.

Der Ersatzkassenverband (vdek) sprach sich dafür aus, die Regionalkomponente rascher einzuführen und auch für einen Neuzuschnitt des Morbi-RSA heranzuziehen. Es sei bekannt, dass die Kosten für die Gesundheitsversorgung regional stark differierten. So seien die Ausgaben in Ballungsräumen höher als auf dem Land. Im Morbi-RSA würden zwar die alters-, geschlechts- und krankheitsbedingten Unterschiede in der Versichertenstruktur der Krankenkassen ausgeglichen, nicht aber die konkreten Versorgungsbedingungen vor Ort. Dies sei ein „Konstruktionsfehler“.

Der Bundesverband der Innungskrankenkassen (IKK) erklärte, die Änderungen seien nicht ausreichend, um die Manipulationsanreize im Morbi-RSA zu beseitigen. So bestünden bestimmte Vertragskonstellationen fort, über die ein Einfluss auf die Kodierung weiter möglich sei. Bei diesen Vertragsformen würden pauschale Vergütungen für die Behandlung bestimmter Krankheitsbilder vereinbart und ein Behandlungsumfang festgelegt. Wenn die Kassen solche Krankheitsbilder auswählten, für die es Zuschläge aus dem Morbi-RSA gebe und die Behandlung bei vollständiger Kodierung zusätzlich vergütet werde, sei die Wirkung identisch mit dem Effekt der Betreuungsstrukturverträge.

Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband begrüßte die geplanten Änderungen, befürchtet jedoch, dass die Kassen auf Selektivverträge ausweichen, wenn die bisherigen Regelungen in Gesamtverträgen untersagt werden. Der Verband forderte die Einführung verbindlicher ambulanter Kodierrichtlinien. Ferner müssten Selektivverträge begutachtet, beaufsichtigt und veröffentlicht werden, um die Mittelverschwendung und Verzerrungen über das sogenannte Upcoding zu verhindern.

In der Anhörung mitberaten wurde ein Antrag (BT-Drs. 18/10252 – PDF, 137 KB) der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Reform des Morbi-RSA. Es bestünden von den Krankenkassen nicht beeinflussbare, zum Teil erhebliche Über- und Unterdeckungen bei unterschiedlichen Versichertengruppen, die Reformbedarf bei der Zielgenauigkeit des Systems offenbarten, heißt es in dem Antrag. Da schon kleine Änderungen im Ausgleichssystem des Morbi-RSA erhebliche Verschiebungen der Finanzströme zur Folge haben könnten, müssten die verschiedenen Reformoptionen umfassend geprüft werden.

Mehrere Sachverständige bestätigten in der Anhörung, dass es beim Morbi-RSA zu Über- und Unterdeckungen komme. Umso wichtiger sei die Wiedereinführung einer Regionalkomponente, um genauere Informationen zu erhalten. Der Gesundheitsökonom Volker Ulrich von der Universität Bayreuth sagte, Studien hätten gezeigt, dass es einen „Flickenteppich“ von Über- und Unterdeckungen gebe. Somit spreche viel dafür, eine Regionalkomponente aufzunehmen.

Vertreter von BKK und AOK sprachen sich dafür aus, die Kodierqualität insgesamt mit verbindlichen Richtlinien zu verbessern, etwa im Bereich der sog. Volkskrankheiten. Eine Vertragsärztin sagte, die korrekte Kodierung sei tägliche Pflicht der Mediziner. Anreize für bestimmte Kodierungen seien ethisch nicht vertretbar.

Quelle: hib – heute im bundestag Nr. 81 v. 13.02.2017


10.2.2017 – Vorsitzender des Sachverständigenrats berufen

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hat Herrn Professor Dr. Ferdinand Gerlach zum Vorsitzenden des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen sowie Herrn Professor Dr. Eberhard Wille zu seinem Stellvertreter ernannt.

Zur ganzen Pressemitteilung: http://bpaq.de/g-svr-vorsitz2017


10.02.2017 – GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz: Stärkere Kontrolle der kassenärztlichen Bundesvereinigung

Der Bundesrat hat nur wenige Tage nach dem Bundestag ein Gesetz zur stärkeren Kontrolle, Transparenz und Aufsicht in den Gremien der gesetzlichen Krankenversicherung gebilligt.

Es erweitert die Durchgriffsrechte in der gesamten gesundheitlichen Selbstverwaltung. Der Gesetzgeber reagiert damit auf die jahrelangen Kontroversen in der Führung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Er beschloss Vorgaben für die Haushalts- und Vermögensverwaltung, interne Transparenzpflichten sowie Kontrollmechanismen. Künftig erhalten die Mitglieder beispielsweise mehr Einsichts- und Prüfrechte. So sollen die Spitzenorganisationen vor „Selbstblockaden“ geschützt werden, heißt es in der Gesetzesbegründung.

Auch die staatliche Kontrolle wird ausgeweitet. Danach kann das Bundesgesundheitsministerium künftig jemanden in die Kassenärztliche Bundesvereinigung oder den Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen entsenden, wenn dort gewichtige Probleme auftreten und externer Sachverstand erforderlich ist. Zudem ermöglicht die Novelle eine unabhängige Prüfung der Vorstands-Dienstverträge auf ihre finanziellen Auswirkungen.

Das Gesetz wird nun über die Bundesregierung dem Bundespräsidenten zur Unterschrift vorgelegt. Es soll am Tag nach der Verkündung in Kraft treten.

Quelle: Pressemitteilung des BR v. 10.02.2017



2.2.2017 – Vor 10 Jahren: Einführung des Gesundheitsfonds

Vor genau 10 Jahren hat der Deutsche Bundestag mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz die Einführung des Gesundheitsfonds beschlossen. Durch ihn erhalten die gesetzlichen Krankenkassen seit dem Jahr 2009 Gelder, um Leistungen für die Versicherten, wie Arzt- oder Krankenhauskosten und Arzneimittel zu finanzieren.

http://bpaq.de/g-gesundheitsfonds


31.01.2017 – Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz: Richtgrenzwerte für 31 gesundheitsschädliche Chemikalien

Die Europäische Kommission hat am 31.01.2017 Richtgrenzwerte für 31 Stoffe gesetzt, mit denen die Belastung mit gefährlichen Chemikalien am Arbeitsplatz weiter begrenzt werden soll.

Die Mitgliedstaaten sind nun aufgerufen, basierend darauf nationale Grenzwerte zu beschließen. Die Richtwerte beruhen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, zudem wurden dazu Experten aus den EU-Staaten und die Sozialpartner konsultiert. Mit den neuen Richtgrenzwerten stellt die Kommission einen Referenzrahmen zur Verfügung, anhand dessen sich Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Behörden orientieren können. Unter den 31 neuen Richtgrenzwerten befinden sich 25 für neue Stoffe und sechs für Stoffe, deren Grenzwerte aktualisiert wurden. Da es sich um Richtwerte handelt, haben sie hierbei einen gewissen Ermessensspielraum. Für Arbeitgeber und nationale Behörden sind mit den am 31.01.2017 verabschiedeten Richtgrenzwerten keine direkten zusätzlichen Vorschriften verbunden. Die Richtgrenzwerte stellen jedoch eine wichtige Orientierungshilfe für Arbeitgeber und nationale Behörden dar, um ihren Verpflichtungen unter der Richtlinie über chemische Arbeitsstoffe nachzukommen.

Im Mai 2016 hat die Kommission vorgeschlagen, die Richtlinie für den Schutz vor Karzinogenen und Mutagenen zu aktualisieren, indem sie neue feste Grenzwerte für 13 krebserregende Chemikalien am Arbeitsplatz gesetzt hat. Anfang dieses Jahres hat die Kommission außerdem in einem zweiten Vorschlag Grenzwerte für sieben weitere chemische Stoffe hinzugefügt.

Die Änderungen der Grenzwerte für Chemikalien am Arbeitsplatz fügen sich in die laufenden Arbeiten der Kommission zur Errichtung einer europäischen Säule sozialer Rechte ein. Ziel ist es, das EU-Recht an sich ändernde Beschäftigungsmodelle und gesellschaftliche Entwicklungen anzupassen. Etwa 160.000 Menschen sterben in Europa jährlich an arbeitsbedingten Krankheiten.

Quelle: EU-Aktuell v. 31.01.2017


18.01.2017 – BMAS legt zweiten Teilhabebericht über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen vor

Das Bundeskabinett hat am 18.01.2017 den zweiten Teilhabebericht über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen verabschiedet. Den Bericht im Volltext finden Sie hier.


Nachrichten aus der EU

Internationale Freihandelsabkommen

Nach wie vor dominieren die aktuell diskutierten Freihandelsabkommen TTIP, CETA und TiSA die Schlagzeilen. Während die Zukunft von TTIP mittlerweile ungewiss ist, laufen die Arbeiten an der Vorbereitung der Ratifizierung des kanadisch—europäischen Freihandelsabkommens (CETA) auf Hochtouren. Daneben gehen die Verhandlungen an dem multilateralen Abkommen zur Liberalisierung von Dienstleistungen still und heimlich weiter. Seit 2012 diskutieren 23 Vertragspartner, einschließlich der EU und den USA über Möglichkeiten, den Dienstleistungshandel zu vereinfachen.

Um noch auf weiterhin bestehende Unklarheiten mit Blick auf soziale Sicherheit hinzuweisen, haben die Arbeitsgemeinschaft der Europäischen Sozialversicherungen (ESIP) und die Internationale Vereinigung der Krankenversicherer auf Gegenseitigkeit (AIM) einen offenen Brief an Handelskommissarin Cecilia Malmström geschrieben, der im Internet verfügbar ist. Neben unklaren Begriffen und verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten zu Dienstleistungsregeln sprechen ESIP und AIM auch mögliche Folgewirkungen für die soziale Sicherheit von Klagen an die Investoren gegen Staaten richten. Ganz ähnliche Einwände haben im Übrigen auch die deutschen kommunalen Dachverbände. Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit die Verhandlungsführer die Bedenken in die Verhandlungen mit aufnehmen.

Quelle: WzS – Wege zur Sozialversicherung, Ausgabe 11./12.16


Normung von Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen: Widerstand wächst

Seit einigen Monaten sprechen sich die Spitzenorganisationen der Deutschen Sozialversicherung gegen die Normung von Gesundheits- und Sozialleistungen aus. Schon mehrfach haben sie an die politischen Akteure und Normungsorganisationen appelliert und darauf hingewiesen, dass eine Standardisierung von Gesundheitsleistungen nicht geeignet ist, mehr Patientensicherheit und Zugang zu einer hochwertigen Versorgung zu erreichen. Sie könnte sogar das Gegenteil bewirken. So gibt es zum Bespiel mit Blick auf die Qualitätssicherung in der Pflege oder bei der medizinischen Versorgung in Deutschland etablierte Verfahren der Selbstverwaltung, die auf die spezifischen Bedingungen der nationalen Versorgungssituation ausgerichtet sind.

Nun haben sich die Spitzenorganisationen erneut gegen die Bestrebungen ausgesprochen und sich an einer gemeinsamen Position mit insgesamt 40 Sozialversicherungseinrichtungen aus Europa zum Thema beteiligt. In dem Papier der ESIP werden die EU-Kommission sowie die europäischen und nationalen Normungsinstitute aufgefordert, Aktivitäten und Überlegungen zur Normung von Gesundheits- und Sozialdienstleistungen einzustellen. ESIP betont noch einmal ausdrücklich, dass die im Rahmen der Normung entwickelten Qualitätsmaßstäbe in Konkurrenz zu den nationalen Anforderungen und von Fachleuten entwickelten Qualitätsvorgaben stehen können und zudem nicht unbedingt den auf nationaler Ebene angeordneten, besonderen Anforderungen an medizinische Versorgungs- sowie Rehabilitationsleistungen entsprechen. Die Stellungnahme ist im Internet abrufbar: https://esip.eu/images/pdf_docs/AIM-ESIP_joint_letter_on_standardisation_final.pdf

Quelle: http://dsv-europa.de/de/news/2016/09/normung-von-sozial-und-gesundheitsdienstletungen-widerstand-waechst.html zuletzt 4.4.17



Entscheidungen Bundesfinanzhof

Einkommensbesteuerung bei Teilnahme am Bonusprogramm der gesetzlichen Krankenversicherung

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) teilt unter Beachtung der geänderten Rechtslage nach dem Urteil des BFH vom 01.06.2016 mit, welche Auswirkungen die Teilnahme an Bonusprogrammen der gesetzlichen Krankenversicherung auf die Einkommensbesteuerung hat.

Was gilt es zu beachten?

Betroffene Personen müssen zunächst nichts veranlassen. Wurden einem gesetzlich Krankenversicherten Kosten für zusätzliche gesundheitsfördernde Maßnahmen im Rahmen eines vom BFH-Urteil umfassten Bonusprogrammes erstattet, werden die betroffenen Personen im Laufe des Jahres 2017 eine entsprechende Papierbescheinigung von Ihrer Krankenversicherung erhalten. Diese Bescheinigung ist beim zuständigen Finanzamt einzureichen. Sie ist Voraussetzung und Grundlage für eine Prüfung der Einkommensteuerfestsetzungen durch das Finanzamt. Eines Einspruchs der betroffenen Personen bedarf es hierfür nicht.

Personen, die keine solche Papierbescheinigung von ihrer Krankenversicherung erhalten, können davon auszugehen, dass die Bonusleistungen aus dem Bonusprogramm, an dem sie teilgenommen haben, von der Neuregelung nicht umfasst sind. Eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung kommt dann nicht in Betracht.

Rechtlicher Hintergrund

Die vom Steuerpflichtigen geleisteten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge mindern (sofern die Voraussetzungen des §10 EStG vorliegen) als Sonderausgaben im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung das steuerpflichtige Einkommen. Erstattet eine Krankenversicherung ihrem Versicherten einen Teil seiner Krankenversicherungsbeiträge, mindert diese Erstattung die als Sonderausgaben abziehbaren Beiträge in dem Jahr, in dem sie zufließt. Zu diesen Beitragsrückerstattungen gehörten bisher auch alle Geld- oder Sachleistungen, die dem Versicherten im Rahmen seiner Teilnahme an einem Bonusprogramm zufließen.

Der BFH hatte am 01.06.2016 (X R 17/15 – BStBl II 2016, 989) entschieden, dass nicht alle Zahlungen einer gesetzlichen Krankenversicherung, die im Rahmen eines Bonusprogramms (nach § 65a SGB V) geleistet werden, die als Sonderausgaben abziehbaren Krankenversicherungsbeiträge des Steuerpflichtigen mindern dürfen. Hat der Versicherte bestimmte Gesundheitsmaßnahmen selbst finanziert, die vom Leistungsumfang der Krankenversicherung nicht umfasst sind, und kann er diese Kosten nach den konkreten Bonusmodellbestimmungen für im Rahmen eines Bonusprogrammes erworbene „Ansprüche“ von der Krankenversicherung erstattet bekommen, dann handelt es sich hierbei um eine Kostenerstattung und nicht um eine Beitragsrückerstattung. Die Krankenversicherungen dürfen solche Kostenerstattungen nicht mehr als Beitragsrückerstattung an die Finanzverwaltung melden.

Eine Kostenerstattung liegt nicht vor, wenn im Rahmen des Bonusprogrammes nur die Teilnahme an bestimmten Vorsorgemaßnahmen oder anderen gesundheitsfördernden Maßnahmen – auch wenn diese mit finanziellem Aufwand für den Steuerpflichtigen verbunden sind – vorausgesetzt wird.

Technisch-organisatorische Umsetzung des BFH-Urteils

Ob die BFH-Grundsätze im Einzelfall erfüllt sind, ist für das Finanzamt aus den aktuell vorliegenden Daten nicht ersichtlich. Denn die Krankenversicherungen werden im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen elektronischen Datenübermittlung für 2016 noch keine Differenzierung der verschiedenen Bonusprogramme vornehmen können. Somit werden alle Beitragserstattungen, Geldprämien oder Sachprämien aus Bonusprogrammen sowie Kostenerstattungsfälle derzeit noch als sonderausgabenmindernde Beitragsrückerstattung gemeldet. Die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder haben die gesetzlichen Krankenversicherungen daher gebeten, bei den von ihnen angebotenen Bonusprogrammen festzustellen, ob die Voraussetzungen der BFH-Entscheidung erfüllt sind.

In einem nächsten Schritt werden die Krankenversicherungsgesellschaften die von diesen Bonusprogrammen betroffenen Versicherten ermitteln und diesen Papierbescheinigungen ausstellen. Aus diesen Bescheinigungen wird eine Korrektur der bislang elektronisch übermittelten Beitragsrückerstattungen hervorgehen.

Quelle: Pressemitteilung des BMF v. 13.03.2017


Rechtsprechung Verfassungs- und Verwaltungsrecht

Tödliche Medikamente für Suizid: Schmerzlose Selbsttötung als Ausnahme möglich

Das BVerwG hat entschieden, dass schwer und unheilbar kranke Patienten in extremen Ausnahmesituationen einen Anspruch auf Medikamente zur schmerzlosen Selbsttötung haben können.

Die Ehefrau des Klägers litt seit einem Unfall im Jahr 2002 unter einer hochgradigen, fast kompletten Querschnittslähmung. Sie war vom Hals abwärts gelähmt, musste künstlich beatmet werden und war auf ständige medizinische Betreuung und Pflege angewiesen. Häufige Krampfanfälle verursachten starke Schmerzen. Wegen dieser von ihr als unerträglich und entwürdigend empfundenen Leidenssituation hatte sie den Wunsch, aus dem Leben zu scheiden. Ihren Sterbewunsch hatte sie mit ihrem Ehemann, der gemeinsamen Tochter, den behandelnden Ärzten, einem Psychologen, dem Pflegepersonal und einem Geistlichen besprochen. Im November 2004 beantragte sie beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels. Das BfArM lehnte den Antrag im Dezember 2004 ab, weil eine Erlaubnis mit dem Ziel der Selbsttötung nicht vom Zweck des Betäubungsmittelgesetzes gedeckt sei. Im Februar 2005 reisten der Kläger und seine Frau in die Schweiz, wo sie sich mit Unterstützung eines Vereins für Sterbehilfe das Leben nahm.

Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage auf Feststellung, dass der Versagungsbescheid rechtswidrig und das BfArM zur Erlaubniserteilung verpflichtet gewesen sei, hat das VG Köln im Februar 2006 als unzulässig abgewiesen. Es war der Auffassung, dass der Kläger nicht klagebefugt sei, weil er durch die Ablehnung der von seiner Ehefrau beantragten Erlaubnis nicht in eigenen Rechten verletzt sein könne. Das Rechtsmittel vor dem OVG Münster sowie die Verfassungsbeschwerde beim BVerfG blieben ohne Erfolg. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat mit Urteil vom 19.07.2012 entschieden, dass der Kläger aus dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) einen Anspruch darauf habe, dass die nationalen Gerichte die Begründetheit der Klage prüften. In dem daraufhin wiederaufgenommenen Klageverfahren wurde das Feststellungsbegehren des Klägers von den Vorinstanzen als unbegründet abgewiesen. Das BfArM habe zu Recht angenommen, dass die beantragte Erlaubnis nach den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes zu versagen sei. Darin liege auch weder ein Verstoß gegen Grundrechte noch gegen Rechte und Freiheiten nach der EMRK.

Das BVerwG hat auf die Revision des Klägers die Urteile der Vorinstanzen geändert und festgestellt, dass der Versagungsbescheid des BfArM rechtswidrig gewesen ist. Im Übrigen hat es die Revision zurückgewiesen.

Nach Auffassung des BVerwG umfasst das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Patienten, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll, vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln. Daraus könne sich im extremen Einzelfall ergeben, dass der Staat den Zugang zu einem Betäubungsmittel nicht verwehren dürfe, das dem Patienten eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermögliche.

Nach den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes sei es grundsätzlich nicht möglich, den Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung zu erlauben. Hiervon sei im Lichte des genannten Selbstbestimmungsrechts in Extremfällen eine Ausnahme für schwer und unheilbar kranke Patienten zu machen, wenn sie wegen ihrer unerträglichen Leidenssituation frei und ernsthaft entschieden hätten, ihr Leben beenden zu wollen, und ihnen keine zumutbare Alternative – etwa durch einen palliativmedizinisch begleiteten Behandlungsabbruch – zur Verfügung stünde. Ihnen dürfe der Zugang zu einem verkehrs- und verschreibungsfähigen Betäubungsmittel, das eine würdige und schmerzlose Selbsttötung erlaube, nicht verwehrt sein. Deshalb hätte das BfArM prüfen müssen, ob hier ein solcher Ausnahmefall gegeben war. Diese Prüfung lasse sich nach dem Tod der Ehefrau des Klägers nicht mehr nachholen. Eine Zurückverweisung der Streitsache an die Vorinstanz zur weiteren Sachverhaltsaufklärung scheide daher ebenso aus wie die Feststellung, dass das BfArM zur Erlaubniserteilung verpflichtet gewesen wäre.

Vorinstanzen
VG Köln, Urt. v. 13.05.2014 – 7 K 254/13
OVG Münster, Urt. v. 19.08.2015 – 13 A 1299/14

Quelle: Pressemitteilung des BVerwG Nr. 11/2017 v. 02.03.2017


Rechtsprechung Sozialrecht

Unfallversicherungsschutz für Weihnachtsfeier

Das BSG ist von seiner bisherigen Rechtsprechung abgerückt: Damit die Weihnachtsfeier am Arbeitsplatz versichert ist, muss nicht mehr die Unternehmensleitung persönlich an der Feier teilnehmen. Auch Abteilungsfeiern sind unfallversichert.

Auch während der Weihnachtsfeier einer Abteilung eines Betriebs besteht Unfallversicherungsschutz. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel entschieden (Urt. v. 05.07.2016, Az.B 2 U 19/14 R).

Die Klägerin ist als Sozialversicherungsfachangestellte bei der DRV in der Dienststelle Kassel beschäftigt, die insgesamt 230 Mitarbeiter hat. Bei einer Dienstbesprechung, an der der Dienststellenleiter teilnahm, wurde beschlossen, dass auch im Jahre 2010 – wie in den Jahren zuvor – sachgebietsinterne Weihnachtsfeiern stattfinden durften. Diese Weihnachtsfeiern der Sachgebiete durften jeweils frühestens um 12.00 Uhr beginnen und waren durch Betätigung der Zeiterfassung zu dokumentieren.

Der Büroleitung waren die Termine sowie der voraussichtliche Beginn rechtzeitig bekannt zu geben. Die Teilnehmer erhielten eine Zeitgutschrift in Höhe von 10 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit. Die Sachgebietsleiterin kündigte die Veranstaltung an und lud alle Mitarbeiter des Sachgebiets ein. Nach einem gemeinsamen Kaffeetrinken in den Räumen der Dienststelle machten sich die teilnehmenden zehn Personen, darunter die Sachgebietsleiterin, auf den Weg zu einer gemeinsamen Wanderung, auf der die Klägerin ausrutschte und sich Verletzungen zuzog. Die Unfallkasse lehnte die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall ab.

Das BSG hat demgegenüber nun entschieden, dass es sich um einen Arbeitsunfall gehandelt hat. Nach seiner ständigen Rechtsprechung sei auch die Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung als Ausprägung der Beschäftigtenversicherung gem. § 2 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII versichert. Hierfür war bereits nach bisheriger Rechtsprechung zunächst erforderlich, dass die Veranstaltung „im Einvernehmen“ mit der Betriebsleitung stattfand. Für ein solches „Einvernehmen“ reiche es aus, wenn der Dienststellenleiter in einer Dienstbesprechung mit den jeweiligen Sachgebietsleitern vereinbart, dass die jeweiligen Sachgebiete Weihnachtsfeiern veranstalten dürfen und weitere Festlegungen (Beginn, Zeitgutschrift etc.) getroffen werden.

Änderung der Rechtsprechung: der Chef muss nicht dabei sein

Durch die Gesamtheit dieser – zudem seit Jahren praktizierten – Vereinbarungen wird nach Ansicht der Richter hinreichend deutlich, dass die Feiern der einzelnen Sachgebiete im Einvernehmen mit der Behördenleitung und damit im dienstlichen Interesse stattfanden. Soweit das BSG bislang als weiteres Kriterium für versicherte betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen darauf abgestellt habe, dass die Unternehmensleitung persönlich an der Feier teilnehmen muss, werde hieran nicht länger festgehalten, teilte das Gericht am Dienstag mit.

Betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen stünden unter dem Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung, weil durch sie das Betriebsklima gefördert und der Zusammenhalt der Beschäftigten untereinander gestärkt wird. Dieser Zweck werde auch gefördert und erreicht, wenn kleinere Untergliederungen eines Betriebes Gemeinschaftsveranstaltungen durchführen. Die Teilnahme der Betriebsleitung oder des Unternehmers persönlich sei hierfür nicht erforderlich.

Notwendig für die Förderung von Geschäftsklima und Zusammenhalt der Beschäftigten sei lediglich, dass die Feier allen Mitarbeitern des jeweiligen Teams offen stand und die jeweilige Sachgebiets- oder Teamleitung teilnimmt. Dies war hier der Fall, weil die von der Dienststellenleitung ermächtigte Sachgebietsleiterin alle Beschäftigten ihres Sachgebiets eingeladen hatte und die Feier durchführte. Auf die tatsächliche Anzahl der Teilnehmenden komme es dann nicht mehr an.


LSG Berlin-Brandenburg L 23 SO 327/16 B ER: Keine Kürzung von Sozialleistungen wegen Pflegebetrugs

Das LSG Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass das Sozialamt die Sozialhilfe von Pflegebedürftigen nicht rückwirkend um Geldbeträge kürzen darf, die diese von einem kriminellen Pflegedienst als Belohnung für ihr Mitwirken beim Abrechnungsbetrug erhalten haben.

Zum Hintergrund

Seit einigen Jahren laufen in Deutschland umfangreiche strafrechtliche Ermittlungen gegen betrügerische Pflegedienste. Deren Geschäftsmodell besteht darin, zu Lasten der Sozialleistungsträger Pflegeleistungen abzurechnen, die tatsächlich gar nicht erbracht wurden. Als Komplizen der Pflegedienste wirken neben Ärzten vor allem auch Patienten mit, indem sie den Erhalt gar nicht erbrachter Pflegeleistungen quittieren und so deren Abrechnung ermöglichen. Zur Belohnung erhalten sie monatlich einen Anteil am Betrugserlös, der im Milieu als „Kick-Back-Zahlung“ bezeichnet wird.

Zu den Fällen

Zahlreiche der Pflegebedürftigen erhielten nicht nur Sozialleistungen für die Pflege, sondern auch Sozialhilfe für den täglichen Lebensunterhalt. Sozialhilfe wird aber grundsätzlich nur bei Bedürftigkeit gewährt, also wenn kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen vorhanden ist. Wenn Pflegebedürftige in den Kassenbüchern des Pflegedienstes genannt waren, wurde die Bewilligung der Sozialhilfe in vielen Fällen aufgehoben. Begründung: Die sogenannten Kick-Back-Zahlungen sind Einkommen (§ 82 SGB XII) und verringern den Anspruch auf Sozialhilfe. Außerdem wurden Erstattungsforderungen gegen die pflegebedürftigen Sozialhilfeempfänger festgesetzt, oft im fünfstelligen Bereich.
Die hiergegen seitens der betroffenen Sozialleistungsempfänger angestrengten sozialgerichtlichen Eilverfahren hatten in erster Instanz überwiegend keinen Erfolg (vgl. z.B. SG Berlin, Urt. v. 02.11.2016 – S 145 SO 1411/16 ER). Mehrere Kammern des Sozialgerichts hielten den Erhalt von Kick-Back-Zahlungen für erwiesen und sahen in diesen Zahlungen ein Einkommen, das die Hilfebedürftigkeit der Sozialleistungsempfänger reduzierte.

Die von den Sozialleistungsempfängern gegen diese Beschlüsse gerichteten Beschwerden hatten beim LSG Berlin-Potsdam durchweg Erfolg.

Nach Auffassung des Landessozialgerichts hätten die Sozialämter die „sofortige Vollziehung“ ihrer Bescheide nicht anordnen dürfen.

Der 23. Senat des LSG Berlin-Potsdam hat offen gelassen, ob der Erhalt von Kick-Back-Zahlungen erwiesen sei und entschieden, dass Kick-Back-Zahlungen als Gewinne aus begangenen Straftaten kein „Einkommen“ im Sinne des Sozialhilferechts darstellten (z.B. Beschl. v. 09.01.2017 – L 23 SO 327/16 B ER, rechtskräftig). Ein solcher Zufluss an Geld stamme aus einem gemeinschaftlich begangenen Betrug und sei von vornherein mit einer Rückzahlungspflicht belastet. Eine Behörde könne nicht verlangen, Einkünfte aus strafbaren Handlungen zum Bestreiten des Lebensunterhalts einzusetzen, um so den Anspruch auf staatliche Sozialleistungen zu mindern.

Der 15. Senat des LSG Berlin-Potsdam hat die Rechtsfrage, ob Kick-Back-Zahlungen Einkommen im Rechtssinne seien, ausdrücklich offen gelassen (Beschl. v. 21.12.2016 – L 15 SO 301/16 B ER, rechtskräftig). Allerdings sei der Erhalt von Kick-Back-Zahlungen nicht hinreichend belegt, denn hierfür spreche einzig ein Eintrag in einem Kassenbuch des Pflegedienstes. Umgekehrt sei z.B. nicht erwiesen, dass die Antragstellerin Pflegeleistungen in einem geringeren als mit der Pflegekasse abgerechneten Umfange erhalten habe.

Damit ist der Versuch der Sozialämter zunächst gescheitert, auf den angenommenen Pflegebetrug sofort mit der Rückabwicklung von Sozialhilfeleistungen zu reagieren. Weil es sich bei der dargestellten Rechtsprechung um Entscheidungen im Eilrechtsschutz handelt, ist eine abschließende Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen erst in den Hauptsacheverfahren zu erwarten. Beleuchtet ist damit nur ein Aspekt des mutmaßlichen „Pflegebetrugs“. Anhängig sind bei der Berliner Staatsanwaltschaft strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen des Pflegeunternehmens sowie etwaige Empfänger von Kick-Back-Zahlungen. Abzuwarten wird auch sein, ob die Pflegekassen gezahlte Vergütungen für nicht erbrachte Pflegeleistungen mit Erfolg werden zurückfordern können.

Quelle: Pressemitteilung des LSG Berlin-Potsdam v. 02.02.2017


Anerkennung eines Meniskusschadens als Berufskrankheit bei Profifußballer

Das SG Dresden (S 5 U 233/16) hat die Erkrankung des Innenmeniskus bei einem Profifußballer als Berufskrankheit anerkannt.

Der 32 Jahre alte Kläger aus Dresden spielt seit dem siebten Lebensjahr Fußball. Von 2003 bis 2014 war er als Profifußballer bei verschiedenen Vereinen der Bundesliga und der 2. Bundesliga im Einsatz. 2006 erlitt er einen Meniskusriss. Bei der Berufsgenossenschaft beantragte er 2015, eine Erkrankung des Innenmeniskus des linken Kniegelenks als Berufskrankheit anzuerkennen. Die Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung einer Berufskrankheit ab. Die Trainings- und Wettkampfzeiten seien insgesamt während der Profizeit zu gering gewesen.

Das SG Dresden hat der Klage stattgegeben.

Nach Auffassung des Sozialgerichts liegt hier die Berufskrankheit 2102 vor („Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten“). Nach dem aktuellen medizinischwissenschaftlichen Erkenntnisstand bestehen bei Berufssportlern – insbesondere Fußballern – erhebliche Belastungen des Meniskus. Dies könne bei mehrjähriger Tätigkeit zu einer Anerkennung der Berufskrankheit führen. Nicht zwingend erforderlich sei, dass mindestens 1.600 Stunden im Jahr an kniebelastender Tätigkeit angefallen seien. Der medizinische Sachverständige habe bei dem Kläger für die gesamte Tätigkeit als Berufsfußballer über 5.700 Stunden die Kniegelenke überdurchschnittlich belastende Tätigkeit errechnet. Damit sei der 2006 eingetretene Meniskusschaden durch die berufliche Tätigkeit (mit-)verursacht.

Dem Kläger sei somit die Möglichkeit eröffnet, von der Berufsgenossenschaft medizinische Rehabilitation und finanzielle Entschädigung zu verlangen.

Gegen den Gerichtsbescheid ist die Berufung zum LSG Chemnitz möglich. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

Quelle: Pressemitteilung des SG Dresden Nr. 2/2017 v. 15.02.2017



Keine kosmetische Zahnbehandlung auf Kosten der gesetzlichen Unfallversicherung

Das LSG Stuttgart (L 1 U 120/16) hat entschieden, dass die gesetzliche Unfallversicherung nur für solche Gesundheitsstörungen einstehen muss, deren wesentliche Ursache ein Arbeitsunfall war und nicht für weitere Behandlungen, wie die farbliche Angleichung verfärbter und kariöser „Altzähne“ an nach einem Arbeitsunfall eingesetzte Implantate.

Im Mai 2012 wurde der damals 29jährige Kläger bei der Arbeit von einem Hubwagen (sog. „Ameise“) angefahren und verlor dabei die beiden oberen Schneidezähne. Die zuständige Berufsgenossenschaft übernahm die zahnärztlichen Behandlungskosten einschließlich der beiden neuen Implantatkronen. Der Kläger hatte dazu Wahlfarbmuster bekommen und selbst die Farbe der Implantate ausgesucht, die nach seiner Auffassung am besten zu seinen anderen Zähnen passten. Der Kläger ließ zusätzliche zahnärztliche Behandlungen an bei dem Arbeitsunfall nicht geschädigten Zähnen durchführen, welche von Verfärbungen und Karies betroffen waren. Gegenüber der beklagten Berufsgenossenschaft machte er geltend, dass sich die neuen Implantate optisch deutlich von den eigenen Zähnen unterschieden und diese farblich an die neuen Implantate hätten angeglichen werden müssen. Die entstandenen zusätzlichen Kosten i.H.v. 2.448,63 Euro solle ihm die Unfallversicherung erstatten. Ein von der Berufsgenossenschaft zu Rate gezogener zahnärztlicher Sachverständiger kam zum Ergebnis, dass die weitergehende Behandlung zwar durchaus sinnvoll, aber nicht wegen des Arbeitsunfalls erforderlich gewesen sei. Die Beklagte lehnte die Kostenerstattung der weitergehenden Behandlung ab.

Die anschließende Klage vor dem SG Konstanz hatte keinen Erfolg.

Das LSG Stuttgart hat die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt.

Nach Auffassung des Landessozialgerichts muss die gesetzliche Unfallversicherung nur für Unfallfolgen einstehen, d.h. die Behandlungskosten für diejenigen Gesundheitsstörungen übernehmen, deren wesentliche Ursache der Arbeitsunfall war. Dazu gehöre auch die zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz. Der unfallbedingte Gesundheitsschaden, der Verlust der beiden oberen Schneidezähne, sei aber durch die Einbringung der von der Beklagten bezahlten Implantate ausreichend kompensiert worden. Die vom Kläger veranlasste weitergehende kosmetische Behandlung bzw. Anpassung der Zähne an die neuen Implantate sei keine Unfallfolge, da die Gesundheitsstörungen und kosmetischen Mängel an den anderen Zähnen zum Unfallzeitpunkt bereits vorhanden gewesen seien und im Übrigen der Kläger selbst aufgrund eigener, eigenverantwortlich getroffener Entscheidung eine hellere, gesünder aussehende Zahnfarbe als die Farbe der umliegenden verfärbten, abgenutzten und teilweise kariösen Zähne gewählt habe. Die Unfallversicherung habe daher zu Recht die Übernahme der weiteren Kosten abgelehnt.

Quelle: Pressemitteilung des LSG Stuttgart v. 15.02.2017


Keine Kostenbeteiligung aus angespartem Blindengeld bei Heimunterbringung

Das SG Dortmund (S 62 SO 133/16) hat entschieden, dass die Heranziehung von angespartem Blindengeld als einzusetzendes Vermögen bei einer Heimunterbringung zu Lasten des Sozialhilfeträgers eine besondere Härte darstellt und deshalb unzulässig ist.

Quelle: Pressemitteilung des SG Dortmund v. 13.02.2017


Motorradsturz als Arbeitsunfall anerkannt

Weicht ein Motorradfahrer zur Vermeidung eines Zusammenstoßes einem ihm die Vorfahrt nehmenden Fahrradfahrer aus, handelt es sich um eine den Arbeitsunfallversicherungsschutz begründende Rettungshandlung.

Zum Sachverhalt

Ein Fahrradfahrer hatte einem 53-jährigen Motorradfahrer bei einer privaten Fahrt die Vorfahrt genommen. Bei dem folgenden Ausweichvorgang kam der Motorradfahrer zu Fall und zog sich u. a. Verletzungen der Schultergelenke zu. Die Unfallkasse Nordrhein-Westfalen hatte es abgelehnt, dieses Ereignis als entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall anzuerkennen. Angesichts der kurzen Reaktionszeit und der hohen Verletzungsgefahr für den Motorradfahrer selbst könne keine Rettungsabsicht festgestellt werden.

Entscheidung des SG

Das SG Dortmund (Urt. v. 2.11.2016 – S 17 U 955/14) hat auf die Klage des Motorradfahrers die Unfallkasse Nordrhein-Westfalen verurteilt, das Unfallereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen. Nach Auffassung des SG besteht Unfallversicherungsschutz für Personen, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten. Dieser Tatbestand sei hier erfüllt. Der Kläger habe, indem er seinem potentiellen Unfallgegner ausgewichen sei, diesen aus erheblicher Gefahr für dessen Gesundheit gerettet. Auch eine spontane, ohne intensive Überlegung verrichtete Rettungstat wie ein Ausweichmanöver im Straßenverkehr sei versichert.

Quelle: Pressemitteilung des SG Dortmund v. 15.11.2016



Rechtsprechung Zivilrecht – Arzthaftung

BGH-Urteil zur Patientenverfügung: Voraussetzungen für Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen

Der BGH hat sich erneut mit den Anforderungen befasst, die eine bindende Patientenverfügung im Zusammenhang mit dem Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen erfüllen muss.

Die im Jahr 1940 geborene Betroffene erlitt im Mai 2008 einen Schlaganfall und befindet sich seit einem hypoxisch bedingten Herz-Kreislaufstillstand im Juni 2008 in einem wachkomatösen Zustand. Sie wird seitdem über eine Magensonde künstlich ernährt und mit Flüssigkeit versorgt. Bereits im Jahr 1998 hatte die Betroffene ein mit „Patientenverfügung“ betiteltes Schriftstück unterschrieben. In diesem war niedergelegt, dass unter anderem dann, wenn keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht, oder aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibe, „lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben“ sollten. Zu nicht genauer festgestellter Zeit zwischen 1998 und ihrem Schlaganfall hatte die Betroffene mehrfach gegenüber verschiedenen Familienangehörigen und Bekannten angesichts zweier Wachkoma-Patienten aus ihrem persönlichen Umfeld geäußert, sie wolle nicht künstlich ernährt werden, sie wolle nicht so am Leben erhalten werden, sie wolle nicht so daliegen, lieber sterbe sie. Sie habe aber durch eine Patientenverfügung vorgesorgt, das könne ihr nicht passieren. Im Juni 2008 erhielt die Betroffene in der Zeit zwischen dem Schlaganfall und dem späteren Herz-Kreislaufstillstand einmalig die Möglichkeit, trotz Trachealkanüle zu sprechen. Bei dieser Gelegenheit sagte sie ihrer Therapeutin: „Ich möchte sterben.“ Unter Vorlage der Patientenverfügung von 1998 regte der Sohn der Betroffenen im Jahr 2012 an, ihr einen Betreuer zu bestellen. Das Amtsgericht bestellte daraufhin den Sohn und den Ehemann der Betroffenen zu jeweils alleinvertretungsberechtigten Betreuern. Der Sohn der Betroffenen ist, im Einvernehmen mit dem bis dahin behandelnden Arzt, seit 2014 der Meinung, die künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr solle eingestellt werden, da dies dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen der Betroffenen entspreche. Ihr Ehemann lehnt dies ab.
Das Amtsgericht hat den Antrag der durch ihren Sohn vertretenen Betroffenen auf Genehmigung der Einstellung der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitszufuhr abgelehnt. Das Landgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen.

Der BGH hat auf die Rechtsbeschwerden der Betroffenen und ihres Sohnes die angefochtene Entscheidung aufgehoben und das Verfahren an das Landgericht zurückverwiesen.

Nach Auffassung des BGH bedarf der vom Sohn der Betroffenen beabsichtigte Widerruf der Einwilligung in die mit Hilfe einer PEG-Magensonde ermöglichten künstlichen Ernährung nach § 1904 Abs. 2 BGB grundsätzlich der betreuungsgerichtlichen Genehmigung, wenn – wie hier – durch den Abbruch der Maßnahme die Gefahr des Todes drohe. Eine betreuungsgerichtliche Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 BGB sei jedoch dann nicht erforderlich, wenn der Betroffene einen entsprechenden eigenen Willen bereits in einer bindenden Patientenverfügung nach § 1901a Abs. 1 BGB niedergelegt habe und diese auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutreffe. Eine schriftliche Patientenverfügung i.S.d. § 1901a Abs. 1 BGB entfalte aber nur dann unmittelbare Bindungswirkung, wenn ihr konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, bei Abfassung der Patientenverfügung noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden könnten. Dabei dürften die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung aber auch nicht überspannt werden. Vorausgesetzt werden könne nur, dass der Betroffene umschreibend festlege, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation wolle und was nicht.

Zur erforderlichen Bestimmtheit der Patientenverfügung hatte der BGH bereits in seinem Beschluss vom 06.07.2016 (XII ZB 61/16) entschieden, dass zwar die Äußerung, „keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ zu wünschen für sich genommen keine hinreichend konkrete Behandlungsentscheidung enthält, die erforderliche Konkretisierung aber gegebenenfalls durch die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen erfolgen kann. Diese Rechtsprechung hat der BGH nun weiter präzisiert und ausgesprochen, dass sich die erforderliche Konkretisierung im Einzelfall auch bei einer weniger detaillierten Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen durch die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen ergeben kann. Ob in solchen Fällen eine hinreichend konkrete Patientenverfügung vorliege, sei dann durch Auslegung der in der Patientenverfügung enthaltenen Erklärungen zu ermitteln.

Auf dieser rechtlichen Grundlage hat der BGH die angefochtene Entscheidung aufgehoben, weil das Beschwerdegericht sich nicht ausreichend mit der Frage befasst hat, ob sich der von der Betroffenen errichteten Patientenverfügung eine wirksame Einwilligung in den Abbruch der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitsversorgung entnehmen lässt. Denn die Betroffene hat nach Auffassung des BGH in der Patientenverfügung ihren Willen zu der Behandlungssituation u.a. an die medizinisch eindeutige Voraussetzung geknüpft, dass bei ihr keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht. Zudem habe sie die ärztlichen Maßnahmen, die sie u.a. in diesem Fall wünsche oder ablehne, durch die Angabe näher konkretisiert, dass Behandlung und Pflege auf Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein sollten, selbst wenn durch die notwendige Schmerzbehandlung eine Lebensverkürzung nicht auszuschließen sei. Diese Festlegungen in der Patientenverfügung könnten dahingehend auszulegen sein, dass die Betroffene im Falle eines aus medizinischer Sicht irreversiblen Bewusstseinsverlusts wirksam in den Abbruch der künstlichen Ernährung eingewilligt habe. Ob der derzeitige Gesundheitszustand der Betroffenen im Wachkoma auf diese konkret bezeichnete Behandlungssituation zutreffe, habe das Beschwerdegericht bislang nicht festgestellt. Dies wird es nachholen müssen.

Sollte das Beschwerdegericht zu dem Ergebnis gelangen, dass der derzeitige Gesundheitszustand der Betroffenen nicht den Festlegungen der Patientenverfügung entspreche, werde es erneut zu prüfen haben, ob ein Abbruch der künstlichen Ernährung dem mutmaßlichen Willen der Betroffenen entspreche. Dieser sei anhand konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln, insbesondere anhand früherer mündlicher oder schriftlicher Äußerungen, ethischer oder religiöser Überzeugungen oder sonstiger persönlicher Wertvorstellungen der Betroffenen. Entscheidend sei dabei, wie die Betroffene selbst entschieden hätte, wenn sie noch in der Lage wäre, über sich selbst zu bestimmen.

Vorinstanzen
AG Freising, Beschl. v. 29.06.2015 – XVII 157/12
LG Landshut, Beschl. v. 17.11.2015 – 64 T 1826/15

Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 40/2017 v. 24.03.2017


Klinik haftet für intraoperative Aufklärungspflichtverletzung bei Nierenentfernung

Stellt sich während der Operation an der Niere eines achtjährigen Kindes heraus, dass der ursprünglich geplante Eingriff nicht durchführbar ist, kann eine neue Situation vorliegen, die eine neue Aufklärung der sorgeberechtigten Eltern über die zu verändernde Behandlung und ihre hierzu erteilte Einwilligung erfordert, so das OLG Hamm.

Der im Juli 2004 geborene Kläger aus Essen litt u.a. an multiplen Nierengewebsdefekten und an einem erweiterten Nierenbeckenkelchsystem, weswegen die linke Niere noch 22% ihrer Funktion hatte. Nach Voruntersuchungen im beklagten Klinikum in Essen, einer Bedenkzeit für seine Eltern und einem mit ihnen geführten Aufklärungsgespräch wurde der Kläger im Januar 2013 operiert. Bei der Operation sollte eine neue Verbindung zwischen dem Nierenbecken und dem Harnleiter geschaffen werden, um die Abflussverhältnisse der linken Niere zu verbessern. Intraoperativ stellte sich heraus, dass die geplante Rekonstruktion aufgrund nicht vorhersehbarer anatomischer Gegebenheiten nicht möglich war. Die Operation wurde unterbrochen, eine behandelnde Ärztin schilderte den Kindeseltern die veränderte Situation und empfahl die sofortige Entfernung der linken Niere. Die Kindeseltern stimmten zu, die Operation wurde fortgesetzt und die linke Niere des Klägers entfernt. Nach der Operation hat der Kläger die Entfernung der linken Niere beanstandet, Aufklärungsmängel geltend gemacht und vom Klinikum und der interoperativ aufklärenden Ärztin Schadensersatz verlangt, unter anderem ein Schmerzensgeld i.H.v. – zuletzt – 25.000 Euro.

Die Klage hatte vor dem OLG Hamm mit der Maßgabe Erfolg, dass dem Kläger aufgrund eines Aufklärungsmangels 12.500 Euro Schmerzensgeld zugesprochen wurden.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts sind die Eltern des Klägers während der Operation nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Als sich intraoperativ herausgestellt habe, dass die ursprünglich geplante Rekonstruktion nicht möglich gewesen sei, habe eine neue Situation vorgelegen, die eine veränderte Behandlung erforderlich gemacht habe. Diese Situation habe eine neue Aufklärung und eine neue Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern des Klägers erfordert. Hiervon seien auch die behandelnden Ärzte ausgegangen, sie hätten die Operation unterbrochen, um mit den Eltern das weitere Vorgehen zu besprechen. Die dann erfolgte Aufklärung sei allerdings defizitär gewesen, weil die das Aufklärungsgespräch führende Ärztin die Entfernung der linken Niere als alternativlos dargestellt und die sofortige Nierenentfernung empfohlen habe.

Nach den Ausführungen des vom Oberlandesgericht hinzugezogenen medizinischen Sachverständigen sei es intraoperativ nicht zwingend notwendig gewesen, die Niere sofort zu entfernen. Es wäre möglich gewesen, die Operation dergestalt zu beenden, dass das Nierenbecken verschlossen und die Niere über eine Nieren-Haut-Fistel abgeleitet werde, um danach die weitere Vorgehensweise in Ruhe mit den Eltern zu besprechen. Dabei habe neben der Nierenentfernung auch die – wenn auch mit höheren Risiken und zweifelhaften Erfolgsaussichten verbundene – Möglichkeit bestanden, später nierenerhaltend zu operieren. Eventuell hätte so die Restfunktion der linken Niere erhalten werden können.

Im vorliegenden Fall habe es zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Klägers der intraoperativen Aufklärung seiner Eltern dahingehend bedurft, dass neben der sofortigen Entfernung der linken Niere auch der Abbruch der Operation mit einer äußeren Harnableitung für eine Übergangszeit möglich gewesen sei. In der Übergangszeit hätte dann eine ärztliche Aufklärung, Beratung und eine Entscheidung der Eltern in Bezug auf mögliche andere, aber riskante und schwierigere Wege der Nierenerhaltung erfolgen können. Dieses Aufklärungserfordernis habe angesichts der Tragweite und Bedeutung der Entscheidung zwischen einer Nierenentfernung und einer riskanten und schwierigeren Nierenerhaltungsoperation bestanden. Dabei sei besonders zu berücksichtigen, dass sich die Kindeseltern in der vor der Operation bestehenden Situation – nach Bedenkzeit und Beratung durch einen niedergelassenen Urologen – ausdrücklich gegen eine Nierenentfernung beim Kläger entschieden hätten. In dieser Situation könne auch nicht von einer hypothetischen Einwilligung der Eltern in die sofortige Entfernung der Niere ausgegangen werden. Vielmehr sei anzunehmen, dass sich die Kindeseltern in einem echten Entscheidungskonflikt zwischen der sofortigen Nierenentfernung und der Möglichkeit der Übergangslösung befunden hätten.

Da die gebotene Aufklärung im vorliegenden Fall versäumt worden sei, seien die intraoperativ erteilte Einwilligung der Eltern, die linke Niere des Klägers zu entfernen, unwirksam und dieser Eingriff rechtswidrig gewesen. Angesichts der Vorschädigung der entfernten Niere sei das zuerkannte Schmerzensgeld angemessen.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Quelle: Pressemitteilung des OLG Hamm v. 23.02.2017


Rechtsprechung Arbeitsrecht

Arbeitnehmerüberlassung einer DRK-Schwester

Das BAG (1 ABR 62/12) hat entschieden, dass es sich um Arbeitnehmerüberlassung handelt, wenn eine DRK-Schwester, die als Mitglied einer DRK-Schwesternschaft angehört, von dieser in einem vom Dritten betriebenen Krankenhaus eingesetzt wird, um dort nach dessen Weisung gegen Entgelt tätig zu sein.

Der Betriebsrat des Krankenhauses könne dieser Einstellung die erforderliche Zustimmung verweigern, wenn der Einsatz gegen das Verbot der nicht vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG verstoße, so das BAG.

Die Arbeitgeberin beabsichtigte zum 01.01.2012 eine Krankenschwester in ihrem Krankenhausbetrieb einzusetzen, die Mitglied einer DRK-Schwesternschaft ist. Grundlage hierfür ist ein mit der DRK-Schwesternschaft geschlossener Gestellungsvertrag. Der Betriebsrat der Arbeitgeberin verweigerte form- und fristgerecht seine Zustimmung zu der Einstellung. Er machte geltend, es handele sich um eine verbotene, weil dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung.
Das Landesarbeitgericht hatte dem Antrag der Arbeitgeberin, die Zustimmung des Betriebsrats zu ersetzen, stattgegeben. Auf das vom BAG durch Beschluss vom 17.03.2015 an den EuGH gerichtete Vorabentscheidungsgesuch hat dieser mit Urteil vom 17.11.2016 (C-216/15) entschieden: „Art. 1 Abs. 1 und 2 der Leiharbeitsrichtlinie vom 19.11.2008 ist dahin auszulegen, dass die durch einen Verein, der keinen Erwerbszweck verfolgt, gegen ein Gestellungsentgelt erfolgende Überlassung eines Vereinsmitglieds an ein entleihendes Unternehmen, damit das Mitglied bei diesem hauptberuflich und unter dessen Leitung gegen eine Vergütung Arbeitsleistungen erbringt, in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, sofern das Mitglied aufgrund dieser Arbeitsleistung in dem betreffenden Mitgliedstaat geschützt ist, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Dies gilt auch, wenn das Mitglied nach nationalem Recht kein Arbeitnehmer ist, weil es mit dem Verein keinen Arbeitsvertrag geschlossen hat.“

Das BAG hat den Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin abgewiesen.

Nach Auffassung des BAG hat der Betriebsrat die Zustimmung zu Recht verweigert. Bei der Gestellung der DRK-Schwester handele es sich um Arbeitnehmerüberlassung. Aufgrund der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung liege diese auch dann vor, wenn ein Vereinsmitglied gegen Entgelt bei einem Dritten weisungsabhängig tätig sei und dabei einen Schutz genieße, der – wie bei den DRK-Schwestern – dem eines Arbeitnehmers entspreche.

Vorinstanz
LArbG Düsseldorf, Beschl. v. 06.07.2012 – 6 TaBV 30/12

Quelle: Pressemitteilung des BAG Nr. 10/2017 v. 21.02.2017